Wie konnte aus dem Mutterland der Fachkräfte ein Land des Fachkräftemangels werden? Und wie lässt sich dieser Mangel wieder beheben? Für die CDU ist diese Frage nicht nur eine Frage von Einwanderung. Sie ist vor allem auch eine Frage der Bildungspolitik. Denn das größte Reservoir an möglichen Fachkräften sind unsere Kinder. Im Gespräch sucht CDU-Vize Karin Prien nach Antworten. Ihre Gesprächspartner: Kultusminister Alexander Lorz und der Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung, Friedrich Hubert Esser.
Die Aussichten müssen stimmen
„Es gibt nirgendwo mehr einen Überfluss an Fachkräftepersonal. Und das wird uns noch Jahre beschäftigen.“ Der Hessische Kultusminister Alexander Lorz beschreibt die Lage ungeschönt. Fachkräftebedarf gibt es derzeit in allen Bereichen. „Wir suchen überall, nicht nur im Bildungsbereich.“ Der Fachkräftemangel trifft dabei auf einen höheren Förderbedarf bei vielen Kindern und Jugendlichen.
Der Hessische Kultusminister Alexander Lorz beschreibt die Lage ungeschönt. (Foto: Anika Nowak)
„Die beruflichen Perspektiven am Ende der Ausbildung müssen stimmen“, sagt Lorz. Dazu zählen Gehalt und Aufstiegschancen, aber auch gesellschaftliches Ansehen. Er fordert: „Wir müssen die Kinder und Jugendlichen frühzeitig an die Möglichkeiten in Deutschland heranführen. Sie müssen ihre eigenen Talente entwickeln. Dann haben sie auch Spaß. Und dann haben sie auch Erfolg.“
Das Vorurteil, akademische Bildung sei besser, müsse man durchbrechen. „Wir wollen unterstreichen, dass man auch mit dualer Ausbildung Zugang zu Hochschulen hat. Es gibt keine Sackgassen. Das ist ein absolut gleichwertiger Weg. Und egal welchen Weg man einschlägt, es gibt immer einen Weg, der noch weiterführt.“
Die Berufsschulen wieder aufwerten
Auch Karin Prien stellt die Aufstiegsfrage: Erst kommt der Schulabschluss und dann die Berufsausbildung. Zu viele sehen dahinter keine Aufstiegsmöglichkeiten mehr. „Viele Eltern haben die Berufsschulen nicht auf dem Schirm. Wir müssen dafür sorgen, dass die Berufsschulen stärker in den Fokus der Eltern geraten. Denn die beraten ihre Kinder.“
Die Schleswig-Holsteinische Kultusministerin Karin Prien stellt die Aufstiegsfrage. (Foto: Anika Nowak)
Ziel muss sein, dass sich die Berufsschulen schon in der Grundschule vorstellen. Auch mehr Werbung gehört dazu, so Prien. „Wir müssen der Dualen Bildung die gleiche Wertschätzung entgegenbringen, die sie weltweit hat.“ Denn Ausbildung in Deutschland öffnet gute Zukunftsaussichten – egal, wann man sie macht. „Die Hälfte der Schulabbrecher macht ihren Abschluss an der BBS nach. Das wissen die meisten nicht.“ Sie will vor allem auch im Anschluss an die Ausbildung die ‚Chance auf Mehr‘ verbessern: „Wir müssen den Weg von Hauptschulabschluss über Berufsausbildung zum Studium ermöglichen.“
Gleichwertigkeit der Abschlüsse garantieren
„Wir stehen mit dem demografischen Wandel erst am Anfang“, ist Friedrich Hubert Esser überzeugt. Der Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung stellt täglich fest: „Uns brechen die Zahlen in bestimmten Berufen ein.“ Das Handwerk und die Pflege haben besonders zu leiden. Das eine ist die Demografie, weist er aus. Das andere ist der Bildungstrend. Hier hat sich ein Strukturwandel entwickelt. Weg von der Industrie, hin zur Wissenschaft. „Bildung ist kopflastig geworden“, sagt er. Dass Handwerk leidet unter dem Klischee, es sei schwerwiegende körperliche Tätigkeit.
Friedrich Hubert Esser analysiert den Fachkräftemangel aus Sicht des Handwerks. (Foto: Anika Nowak)
Deshalb ist die Gleichwertigkeit so wichtig, auch beim gesellschaftlichen Ansehen: „Wie gebildet wirke ich mit meinem Beruf? Welche Anerkennung erhalte ich?“ Da muss man das Image durch bundesweite Aufklärung deutlich anheben.
Doch auch im Studium gibt es Vorurteile, die man abbauen muss, so Esser. „Frauen sind im Studium bei MINT-Fächern unterrepräsentiert. Die Berufe sind ‚männerlastig‘. Der Girls‘ Day reicht nicht. Wir müssen eine neue Erzählung haben. Damit wir auch junge Mädchen und junge Frauen ausbilden, dass wir da bessere Zahlen bringen und die dann in der Gesamtzahl der Gruppe stärker werden.“ Fakt ist: MINT-Fächer schrecken viele ab. Mathematik gilt sogar als Horrorfach. „Wir müssen diesen Angstfaktor herausnehmen“, sagt Alexander Lorz.
Ansehen der Lehrerinnen und Lehrer stärken
Nicht nur die Ausbildung leidet unter einem falschen Image. Auch die Jobs tun das – und nicht nur im Handwerk. Karin Prien bricht zum Ende deshalb auch eine Lanze für die Schulen selbst: „Wir müssen auch über die gesellschaftliche Anerkennung von Lehrerinnen und Lehrern und den Schulen sprechen“, fordert die Kultusministerin. „Ich erlebe im Wesentlichen hochmotivierte Schulleitungen und Lehrkräfte.“ Diese Lehrkräfte haben während der Corona-Zeit viel geleistet. Und sie haben allein im letzten Jahr 100.000 Schüler aus der Ukraine integriert.