Wie lautet der Vorwurf gegenüber Tim Kurzbach?
Es gibt einen begründeten Anfangsverdacht gegen Tim Kurzbach, dass er städtische Bedienstete zur Untreue in einem besonders schweren Fall angestiftet haben soll. Der Tatbestand der Untreue ist in § 266 Strafgesetzbuch geregelt. Der Vorwurf der Untreue bezieht sich dabei darauf, dass der OB (mindestens) 210.000 Euro für Anwaltskosten erstattet wissen wollte, obwohl ihm diese Erstattung nicht zustehen sollte. Es handelt sich „nur“ um Anstiftung zur Untreue, da der OB keine eigene Vermögensbetreuungspflicht im Zusammenhang mit der Gewährung des Vorschusses für Kosten seiner Verteidigung hat. Daher kann er – rein technisch – nicht selbst veruntreut haben. Es handelt sich im juristischen Sinn um einen besonders schweren Fall, da der OB – sollte sich der Vorwurf bewahrheiten – sein Amt zum persönlichen Vorteil missbraucht hätte.
Aber die Stadt hat den Vorgang doch unabhängig geprüft und wollte einen Vorschuss gewähren. Warum meint die CDU, dass der Oberbürgermeister jemanden angestiftet hat?
Die Akteneinsicht der CDU-Fraktion, die am 21. November 2024 durchgeführt wurde, hat gezeigt, dass die Prüfung durch die Verwaltung gerade nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Dem OB wird zum Abschluss der internen Prüfung mitgeteilt: „Für ihre Rechtsverteidigung als solche ist dieser Aufwand [gemeint sind die Anwaltskosten i. H. v. 210.167,09 Euro] aber weder erforderlich noch angemessen. […] Da aber ihre besondere Situation nicht verkannt wird, wird ihnen dennoch zunächst ein Vorschuss i. H. v. 60%, d.h. 126.100,25 Euro gewährt.“ Die Verwaltung stellt also zunächst fest, dass eine Erstattung der Kosten nicht gerechtfertigt ist, um dann aber doch einen Vorschuss zu gewähren. Das wirft die Frage auf, warum die Verwaltung erst zu einem klaren Ergebnis kommt und dann doch einen Vorschuss genehmigt – ein widersprüchliches Vorgehen, das aus Sicht unserer Fraktion aufgeklärt werden muss.
Ferner hat die Akteneinsicht aufgezeigt, dass der OB persönlichen Einfluss auf die zuständigen Bediensteten genommen hat. In diesem Sinne hat er mutmaßlich städtische Bedienstete zu ihrem Handeln angestiftet.
Was hat es mit der Dienstanweisung auf sich, auf die immer wieder verwiesen wird?
Damit die Stadt Kosten für Rechtsschutzkosten ihrer Bediensteten bedarf einer entsprechenden formellen Grundlage. Diese ist in der „Dienstanweisung Rechtsschutz“ geregelt. In der Stadt Solingen gibt es diese Dienstanweisung seit 1999. Der Verwaltungsvorstand – das sind der Oberbürgermeister und die Beigeordneten – hat in seiner Sitzung am 3. September 2024 die Dienstanweisung aus dem Jahr 1999 geändert. Diese orientiert sich am sogenannten „Runderlass Rechtsschutz NRW“, in dem das Land NRW den Rechtsschutz für seine Bediensteten geregelt hat. Zur Übernahme von Kosten sagt die neue Dienstanweisung:
“3.1. Die Notwendigkeit der Kosten richtet sich nach den in den Straf- und Bußgeldverfahren, ggf. in Verbindung mit den in Zivilverfahren geltenden Regelungen.
3.2. Die Vereinbarung einer Vergütung im Sinne des § 3a des Rechtsanwaltsvergütungsgesetz vom 5. Mai 2004 (BGBl. I S. 718, 788), in der jeweils gültigen Fassung, darf nur dann als notwendig anerkannt und bei der Bemessung der Höhe des Vorschusses berücksichtigt werden, wenn dies nach der Bedeutung der Angelegenheit sowie nach Umfang und Schwierigkeiten der anwaltlichen Tätigkeit gerechtfertigt erscheint.”
Am 17. September stellte der OB einen Antrag auf Rechtsschutz. Nachdem dieser Antrag am 19. September grundsätzlich genehmigt wurde, reichte er am 26. September die Rechnungen für die Monate Juni, Juli und August ein. Danach begann die erneute Prüfung in Hinsicht der Angemessenheit nach Punkt 3.2 der Dienstanweisung.
Aber es ist doch gar kein Geld an den OB gezahlt worden. Wie kann es dann Untreue sein?
Rechtlich gesehen spielt es keine Rolle, ob das Geld tatsächlich ausgezahlt wurde. Entscheidend ist, dass die Stadtverwaltung die Zahlung bereits angeordnet hatte, sodass ein finanzieller Schaden unmittelbar bevorstand. Dies nennt man eine „schadensgleiche Vermögensgefährdung“. Dass dies mit dem Tatbestand der Untreue gleichzusetzen ist, hat der Bundesgerichtshof bereits entschieden (vgl. BGH, Beschluss vom 19.9.2018 – 1 StR 194/18, NJW 2019, 378 Rn. 22–24.). Die Entscheidung über die Gewährung des Vorschusses hat das Vermögen der Stadt konkret gefährdet. Aus der Akteneinsicht ist ersichtlich, dass die Auszahlung bereits an die Kämmerei angewiesen wurde und diese erst im letzten Moment gestoppt wurde. Auch der Hinweis, dass der OB einen gewährten Vorschuss hätte zurückzahlen müssen, ist im juristischen Sinn obsolet, da die für den Tatbestand der Untreue relevante Vermögensgefährdung bereits durch die formelle Genehmigung und Auszahlungsanweisung eingetreten war.
Wie hängt das mit der „Luxusschleuser-Affäre“ zusammen?
Die hohen Anwaltskosten entstanden, weil der OB – genauso wie andere städtische Bedienstete – im Luxusschleuser-Verfahren als Beschuldigter geführt wird. Er wollte sich diese Kosten aus der Stadtkasse erstatten lassen. Während andere Bedienstete deutlich geringere Kosten (unter 10.000 Euro) geltend machten, forderte der OB über 200.000 Euro. Die Dienstanweisung sieht keine Sonderbehandlung für den OB vor. Mit welchem Tatbestand genau der OB beschuldigt ist, ist uns nicht bekannt. Medien ist zu entnehmen, dass gegen im Verfahren Beschuldigte in anderen Kommunen wegen gewerbsmäßiger Schleusung und Bestechlichkeit ermittelt wird.
Also ermitteln Staatsanwaltschaft und Bezirksregierung doch sowieso gegen den Oberbürgermeister. Warum jetzt noch eine Anzeige?
Die Ermittlungen gegen den Oberbürgermeister und weitere Bedienstete aus dem Konzern Stadt Solingen bezogen sich nach unseren Kenntnissen bislang ausschließlich auf das Luxusschleuser-Verfahren. Mitglieder unserer Fraktion wurden Bedenken von städtischen Bediensteten hinsichtlich der Rechtskosten des OB geäußert. Daraufhin hat ein Ratsmitglied am 21. November 2024 Akteneinsicht durchgeführt und aus seiner Sicht Anhaltspunkte für eine Fehlverhalten erkannt. Eine Mitschrift der betroffenen Akten wurde daraufhin der auf Compliance spezialisierten Anwaltskanzlei von Dr. Toni Rostalski weitergeleitet. Dieser hat den Fall juristisch begutachtet – sowohl in straf- als auch disziplinarrechtlicher Hinsicht. Diese Gutachten sind dann zusammen mit den unserer Fraktion zur Verfügung stehenden Unterlagen an die zuständige Staatsanwaltschaft bzw. Bezirksregierung übermittelt worden, damit diese in der Sache ermitteln. Ohne die übermittelte Anzeige wären vermutlich weder Staatsanwaltschaft noch Bezirksregierung auf den Sachverhalt aufmerksam geworden.
Was ist der Unterschied zwischen der Anzeige bei der Staatsanwaltschaft und bei der Bezirksregierung?
Staatsanwaltschaft = strafrechtliche Ermittlungen, mögliche Strafe: Geldstrafe oder Freiheitsstrafe
Bezirksregierung = Disziplinarrechtliche Prüfung, mögliche Konsequenz: Entlassung aus dem Beamtenverhältnis
Warum hat die CDU Anzeige nicht nur gegen den OB, sondern auch gegen die Stadtdirektorin sowie eine Stadtdienstleiterin erstattet?
Die Stadtdirektorin und die Stadtdienstleiterin haben die Zahlung angewiesen, obwohl sie zuvor selbst festgestellt hatten, dass die Erstattung nicht gerechtfertigt sei. Ohne ihre Mitwirkung hätte es keine Tat geben können. Daher wird gegen sie ebenfalls ermittelt. Ob und inwiefern strafwürdiges Verhalten von den Beteiligten vorliegt, ist nunmehr Gegenstand der Ermittlungen.
Wieso hat die CDU überhaupt ein Gutachten in Auftrag gegeben?
Die Akteneinsicht ergab Hinweise auf ein mögliches Fehlverhalten, das juristisch komplex ist. Um sicherzugehen, dass keine falschen Vorwürfe erhoben werden, wurde ein unabhängiges Gutachten erstellt. Es diente der Klärung, ob ein straf- oder disziplinarrechtliches Fehlverhalten vorliegt.
Wieso veröffentlicht die CDU das Gutachten nicht?
In dem Gutachten wird Bezug auf nicht-öffentliche Akten genommen und aus diesen zitiert. Da hier sowohl persönliche als auch strafrechtlich relevante Informationen betroffen sind, ist eine gänzliche Veröffentlichung nicht erlaubt.
Wie hat die CDU-Fraktion das Gutachten finanziert?
Alle Fraktionen im Stadtrat haben abhängig von ihrer Größe das Recht auf Mittelzuwendungen aus dem städtischen Haushalt. Die Regeln, wofür die Fraktionsmittel verwendet werden dürfen, sind im sogenannten Fraktionserlass des Kommunalministeriums von 2015 festgehalten. Darin wird zwischen einer „Mindestausstattung“, „erweiterten Mindestausstattung“ und „weiteren zulässigen Verwendungszwecken“ unterschieden. Zur Mindestausstattung gehört unter anderem die „Inanspruchnahme externer Beratungsleistungen in einem angemessenen Umfang“. Gerade weil in einer Fraktion von Ehrenamtlichen keine hinreichende Expertise zur Einschätzung komplexer Sachverhalte garantiert ist, müssen einer Fraktion hierfür Mittel aus dem städtischen Haushalt zur Verfügung gestellt werden. Die CDU-Fraktion hat das Gutachten aus ihren üblichen Mitteln heraus finanziert und keine zusätzlichen Kosten für den städtischen Haushalt verursacht.
Wann ist mit Ergebnissen des Verfahrens zu rechnen?
Das ist für uns nicht abzuschätzen. Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf hat sich des Verfahrens angenommen und den Ermittlungen im Luxusschleuser-Verfahren hinzugefügt. Da der Tatverdacht nunmehr im gleichen Verfahren wie das Luxusschleuser-Verfahren geführt wird, ist mit einer zeitnahen Beendigung durch die Staatsanwaltschaft eher nicht zu rechnen. Die Entscheidung über eine Anklage wird womöglich noch viele Monate dauern.
Die Bezirksregierung könnte ihr Verfahren wesentlich schneller abschließen. Hier gibt es jedoch keine Erfahrungswerte, Disziplinarverfahren mit derartigen Tatbeständen äußerst selten vorkommen.