Ein Jahr Zeitenwende

Ein Jahr nach dem Beginn des rus­si­schen Angriffs­krie­ges gegen die Ukrai­ne dis­ku­tiert der Deut­sche Bun­des­tag über den Krieg, über Hil­fen für die Ukrai­ne, die Zusam­men­ar­beit in Euro­pa und der NATO, die Maß­nah­men der Bun­des­re­gie­rung und die ange­kün­dig­te Zei­ten­wen­de des Bun­des­kanz­lers. Der CDU-Vor­sit­zen­de Fried­rich Merz sichert der Scholz-Regie­rung Unter­stüt­zung bei der Zei­ten­wen­de zu, for­dert aber auch mehr Ent­schlos­sen­heit und mehr Tem­po vom Kanzler.

Merz: „Wir müs­sen die­sen Krieg rich­tig einordnen.“

Es ist nicht allein ein Krieg zwei­er Staa­ten, stellt Merz fest. „Es ist ein Krieg, der stell­ver­tre­tend steht für die Absicht zahl­rei­cher auto­kra­ti­scher Staa­ten, die Welt in Ein­fluss-Sphä­ren neu ein­zu­tei­len und poli­ti­sche Domi­nanz mit mili­tä­ri­scher Gewalt durchzusetzen.“ 

„Es ist der ers­te gro­ße Krieg, der unter den Bedin­gun­gen der Glo­ba­li­sie­rung aus­ge­tra­gen wird“, schreibt die Neue Zür­cher Zei­tung, so Merz. „Gekämpft wird nicht allein an Don und Dne­pr. Zur Dis­po­si­ti­on steht die glo­ba­le Machtverteilung.“

Denn der rus­si­sche Angriff auf die Ukrai­ne hat nicht nur den Krieg nach Euro­pa gebracht. Er hat die glo­ba­le Ord­nung ver­än­dert. Putin bedroht unse­re Frei­heit und Demo­kra­tie. Russ­land und Chi­na stel­len die Gren­zen und die Unab­hän­gig­keit ihrer Nach­barn in Fra­ge. Auch das Ver­hält­nis zu Chi­na ist in die­sem Sin­ne klä­rungs­be­dürf­tig, sagt Merz. Man darf auch hier nicht zu lan­ge zögern. Die Sei­den­stra­ße „ist ein impe­ria­les Pro­jekt. Wir soll­ten den Feh­ler mit Nord-Stream 2 nicht wie­der­ho­len. Wir müs­sen die­ses Pro­jekt stra­te­gisch rich­tig ein­ord­nen.“ Es geht Chi­na nicht um Zusam­men­ar­beit, son­dern um Vorherrschaft.

Ängst­lich­keit hat Scholz-Regie­rung dominiert

Bun­des­kanz­ler Scholz hat­te Putins Angriffs­krieg vor einem Jahr zu Recht als Zei­ten­wen­de beschrie­ben, sagt Merz. Offen sei bis heu­te die Fra­ge: „Aber was folgt nun?“ Rich­tig ist: EU und NATO sind nicht zer­fal­len, son­dern sta­bi­ler als zuvor und haben der Ukrai­ne gehol­fen: huma­ni­tär, finan­zi­ell und „gott­sei­dank!“ – so Merz – auch militärisch. 

„Der Auf­ruf, die­sen Krieg zu been­den, kann sich nur und allein gegen Putin und sein Regime in Russ­land wen­den! Wenn Russ­land heu­te die Waf­fen schwei­gen lässt, dann ist mor­gen der Krieg zu Ende. Wenn die Ukrai­ne heu­te die Waf­fen nie­der­legt, dann sind mor­gen das ukrai­ni­sche Volk und die Ukrai­ne als Staat am Ende.“ Fried­rich Merz

Es ist gut, dass Deutsch­land der Ukrai­ne auch mili­tä­risch hilft, bekräf­tigt Merz, stellt aber gleich­zei­tig fest: Selbst die­se Hil­fe lie­fer­te die Bun­des­re­gie­rung bis zum Schluss fast immer nur auf Druck der USA. Deut­sche Leo­pard Pan­zer wer­den erst gelie­fert, seit die USA auch Abrams-Pan­zer zuge­sagt haben. „Es war der Wider­stand des Deut­schen Bun­des­kanz­lers, der über­wun­den wer­den muss­te“, fasst Merz Aus­sa­gen von Joe Bidens Sicher­heits­be­ra­ter zusam­men. Ohne die USA wären Kiew – und damit die gesam­te Ukrai­ne – längst in rus­si­scher Hand, sagt er. Deutsch­land muss sei­ne Rol­le als Vor­rei­ter in Euro­pa end­lich wahrnehmen. 

Kanz­ler Scholz hat die Zei­ten­wen­de verschleppt

Auch innen­po­li­tisch muss die Regie­rung schnel­ler han­deln. Vor einem Jahr hat­te der Kanz­ler mit der Zei­ten­wen­de gro­ße Ver­än­de­run­gen ange­kün­digt: Sofort 100 Mil­li­ar­den Euro mehr für Ver­tei­di­gung, den Wehr­etat dau­er­haft anhe­ben. Pas­siert ist wenig – teil­wei­se das Gegenteil. 

Merz belegt das mit Fak­ten: „Ein Jahr spä­ter müs­sen wir hier fest­stel­len: Der Ver­tei­di­gungs­etat 2023 ist gegen­über dem Ansatz 2022 um 300 Mil­lio­nen Euro gesun­ken.“ Damit ent­fernt sich Deutsch­land vom ver­ein­bar­ten 2‑Pro­zent-Ziel der NATO. Auch von den 100 Mil­li­ar­den-Euro-Son­der­ver­mö­gen sind gera­de mal 600 Mil­lio­nen Euro aus­ge­ge­ben. „Wei­te­re Bestel­lun­gen las­sen auf sich war­ten“, sagt Merz und fragt nach: War­um sind die­se Bestel­lun­gen nicht im letz­ten Jahr getä­tigt wor­den? „Was ist eigent­lich im zwei­ten Halb­jahr 2022 gesche­hen?“ Merz will wis­sen: Gibt es noch immer Wider­stän­de in den eige­nen Rei­hen der SPD oder in der Koalition?

Merz for­dert star­kes Deutsch­land, star­kes Euro­pa und star­ke NATO

Euro­pa muss zu einer neu­en Stär­ke und Geschlos­sen­heit fin­den, gera­de auch im Bereich Ver­tei­di­gung, for­dert Merz. Dazu ver­langt er vom Bun­des­kanz­ler Ent­schei­dun­gen statt Regie­rungs­er­klä­run­gen: „Wir wer­den Jah­re – wenn nicht Jahr­zehn­te – Sicher­heit in Euro­pa nicht mehr mit Russ­land, son­dern gegen Russ­land orga­ni­sie­ren müssen.“

„Die Frei­heit muss bes­ser bewaff­net sein als die Tyran­nei.“ Kaja Kal­las, Minis­ter­prä­si­den­tin Est­lands, 16. Ber­li­ner Rede zur Freiheit

Deutsch­land braucht eine natio­na­le Sicher­heits­stra­te­gie, so Merz. Die war vom Kanz­ler lan­ge ange­kün­digt, kam bis­her nicht – und soll jetzt Ende März vor­lie­gen. Fast nichts ist inhalt­lich bekannt. Nur über die Zuord­nung wird öffent­lich gestrit­ten. Merz for­dert „Ant­wor­ten“ statt Streit über Zuständigkeiten.

Der CDU-Vor­sit­zen­de bekennt an die Scholz-Regie­rung gewandt: „Wir wol­len Sie bei Ihren Bemü­hun­gen wei­ter unter­stüt­zen, die­sen Krieg gemein­sam mit den Part­nern in der EU und in der NATO zurück­zu­drän­gen. Wir tun das aus tiefs­ter inne­rer Über­zeu­gung. Wir blei­ben aber auch dabei: Sie blei­ben ein Jahr nach Beginn des Krie­ges mit den Wei­chen­stel­lun­gen Ihrer Regie­rung weit hin­ter den selbst­ge­setz­ten Ansprü­chen Ihrer Zei­ten­wen­de zurück. Das muss in den nächs­ten Wochen und Mona­ten bes­ser wer­den. Sonst wird es nicht gelingen.“

Geden­ken der Opfer

Zu Beginn sei­ner Rede im Deut­schen Bun­des­tag gedach­te der CDU-Vor­sit­zen­de Fried­rich Merz der Opfer: „Wir den­ken heu­te an die Men­schen in der Ukrai­ne. An die Män­ner und Frau­en, die ihr Leben gelas­sen haben. An die zer­ris­se­nen Fami­li­en. Und wir den­ken auch an den Holo­cau­st­über­le­ben­den Borys Romant­schen­ko, der den Nazi­ter­ror und vier KZ über­lebt hat­te und dann im Alter von 96 Jah­ren durch einen rus­si­schen Rake­ten­an­griff getö­tet wur­de. Und wir müs­sen mehr denn je an vie­le Kin­der den­ken, die jeden Tag in den rus­sisch besetz­ten Gebie­ten von rus­si­schen Sol­da­ten aus den Fami­li­en geris­sen und nach Russ­land depor­tiert werden.“ 

Hef­tigst kri­ti­sier­te Merz die unsäg­li­chen Aus­sa­gen, wie die der Alt­lin­ken Sarah Wagen­knecht, „Ver­ge­wal­ti­gun­gen, die gibt’s nun Mal im Krieg, und dann auf bei­den Sei­ten”. Merz mach­te sehr deut­lich: „Das ist zynisch, men­schen­ver­ach­tend, dann ist das ein­fach nur nie­der­träch­tig und beschä­mend für unser gan­zes Land!“

„Gegen die­sen Zynis­mus müs­sen wir aus der Mit­te des Par­la­ments her­aus den Men­schen in Deutsch­land immer wie­der sagen: Dies ist und bleibt ein völ­ker­rechts­wid­ri­ger Angriffs­krieg Russ­lands“, so Merz. Allein dafür ver­ant­wort­lich ist Putin. „Der Auf­ruf, die­sen Krieg zu been­den, kann sich nur und allein gegen Putin und sein Regime in Russ­land wenden!“

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